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Die Aussteiger - Scheitern als Chance

Es ist Anfang Januar. Lutz und ich haben einen turbulenten Monat hinter uns.


Wir haben einige Bewerbungen geschrieben, Vorstellungsgespräche geführt und Eignungstests absolviert, uns in Coworking Spaces eingemietet für Telekonferenzen, Lutz hat Rundfahrten zu Wind- und Solaranlagen auf der Insel unternommen, weil er gerne im Bereich der erneuerbaren Energien arbeiten möchte. Wir meinen es ernst mit der Jobsuche und wir strengen uns an.


Mit dem Rad zum Surfen


Und dennoch erlauben wir es uns auch, das Leben im Süden zu genießen. Lutz legt sich ein eigenes Surfbrett und einen Neoprenanzug zu (beides gebraucht, aber gut zu gebrauchen) und radelt fast täglich stolz wie ein Schneekönig auf seinem Cruiser-Rad von dannen, das Surfbrett unter den Arm geklemmt. Einige Stunden später kommt er sandig und salzig zurück und berichtet strahlend von seinen Fortschritten in den Wellen.








Und auch sonst schwingt er sich bei jeder Gelegenheit auf sein Fahrrad, um mit Musik in den Ohren am Strand entlang zu fahren und ein paar Sonnenstrahlen einzusammeln. Hin und wieder darf dann auch ich sein schickes Rad ausleihen und ich kann bestätigen, dass das Lebensgefühl auf diesem Fahrrad unvergleichlich gut ist.



Und was macht Sophie wohl?


Naja, was wohl? Sie geht natürlich tauchen.



Fuerteventura ist nicht Thailand, dennoch gibt es unter Wasser überraschend viel zu sehen. Auf dem dunklen Lavastein gedeihen an den vor dem Schiffsverkehr geschützten Stellen allerhand Korallen und Schwämme, es wimmelt von buntem Getier. Ja, bunt, denn auch auf den Kanaren trifft man Papageienfische an, die in grellem rot-gelb aus der Unterwasserlandschaft hervorstechen. Die Canarios schätzen diese “Viejas” als Speisefische, also findet man sie auch über Wasser auf jeder Speisekarte. Ich sehe ihnen aber lieber dabei zu, wie sie mit ihren Schnäbeln an Felsen grasen.


Der Papageienfisch (http://www.unterwasser-welt-mittelmeer.de/html/papageifisch.html)


Ich habe fantastische Begegnungen mit Tintenfischen, die mit ihren Tentakeln meine Hand an sich heranziehen. In den winzigen Tieren steckt eine erstaunliche Kraft, es kommt regelrecht zu einem Gerangel unter Wasser, denn ich möchte zwar gerne Händchen halten, aber meine Finger sollen hier offensichtlich zum Mund geführt werden, und das muss ja nicht sein. Kraken können mit ihren Armen schmecken (in klug: sie haben Chemorezeptoren auf ihren Tentakeln), daher müsste mein Exemplar beim Handshake schon festgestellt haben, dass ich kein Fisch bin. Ich lasse mich also nicht zum Snack machen.


Ich darf auch für mich gänzlich neue Arten entdecken, wie die erstaunlichen Eidechsenfische, die wie kleine schuppig-graue Drachen auf dem Meeresboden sitzen und lauern. Oder die extrem langbeinigen Gespensterkrabben mit ihren pfeilförmigen Körpern, die überall zwischen den Steinen sitzen und sich auch geduldig einsammeln lassen. Mein Tauchguide will mich wohl mit ihnen erschrecken, aber ich finde sie einfach faszinierend. Was mich über Wasser graust - lange dünne Beine an kleinen Körpern, wuselige Krabben, die scheinbar aus dem Nichts auftauchen - finde ich unter Wasser alles ganz toll.


Der Eidechsenfisch (https://www.inaturalist.org/photos/13149533)
Die Gespensterkrabbe (https://www.seepferdchen-und-meer.de/niedere/garnelen-co/krabben-krebse/stenorhynchus-seticornis-spinnenkrabbe-pfeil-gespensterkrabbe)

Und was machen wir zusammen?


Wir erkunden die Insel. Es gibt einen Wanderweg, der Fuerteventura auf gesamter Länge durchquert und wir schaffen es in mehreren Etappen bis zur Mitte der Insel - danach wird es zu kompliziert, mit den spärlich fahrenden Bussen wieder zurückzukommen. Aber auch auf dem Weg bis zur Mitte der Insel gewinnt man einen guten Eindruck von Fuerteventura : Vulkane, verwitterte Lavaflüsse, Steinwüsten, Ziegenherden und vereinzelte Siedlungen prägen das Bild. In der Inselmitte ist nicht viel los und das ist auch nichts Neues.









Ein paar unterhaltsame Tierbegegnungen gibt es aber sogar hier, in den trockenen Geröllwüsten.



Kamele - früher in der Landwirtschaft tätig, heute nur noch zum Entertainment lauffauler Touristen

Für die Einwohner war es schon immer schwer, auf der extrem trockenen Insel zu überleben. Oft hatte man kaum Wasser und auch heute erledigen die Meerwasser-Aufbereitungsanlagen ihre Aufgabe relativ unbefriedigend. Daher gab und gibt es kaum Landwirtschaft, man lebt von den paar Ziegen, deren Käse extrem wichtig war für die Bewohner. Irgendwo erzeugte man dann noch ein paar Getreidehalme und die winzigen kanarischen Kartoffeln, und das war es dann auch.


Ein ehemaliger alter Gutshof, heute das Heimatmuseum

Brav besuchen wir das Heimatmuseum und erlernen fast die Kunst des Ziegenmelkens.



Aber eigentlich ist Fuerteventura die Insel der fantastischen Küsten und Strände, und das nutzen wir nicht nur für den Wassersport, sondern auch einfach zum Baden, flanieren und Sonnenuntergang-über-dem-Meer-ankucken.



Das Drachenfestival


Der nördliche Leuchtturm, hier spazieren oder joggen wir fast jeden Tag vorbei




Baden geht auch - ist aber recht erfrischend

Die Würfel sind gefallen


Die Idee des Aussteigens und des Lebens auf den Kanaren ist wieder vom Tisch. So attraktiv sie uns erschien, als die Surfschule noch aktuell war, so klar wird uns im Laufe des Dezembers, dass wir auf Fuerteventura keine Arbeit finden werden.


Aber auch potentielle deutsche Arbeitgeber tun sich schwer mit einem Wohnsitz in Spanien, und ebenso mit reinen Remote-Jobs. Was in der Corona-Zeit mein Alltag war und auch gut funktionierte, das möchten Arbeitgeber zum Ende der Schutzmaßnahmen nicht mehr fortführen.


Ich kann verstehen, dass man es sich für den sozialen Zusammenhalt im Unternehmen wünscht, dass sich Kollegen auch persönlich begegnen und vor Ort austauschen und zusammenarbeiten. Dass diese Wünsche allerdings so schnell schon wieder in starre Konzepte gegossen werden (von mindestens 2-3 Tage pro Woche im Büro bis hin zu “ein Tag im Home Office pro Woche ist schon möglich”), finde ich schade.


Es erscheint mir als Rückschritt, die Freiheit und Selbstbestimmung so rasch wieder einzuschränken. Mein Eindruck der vergangenen Jahre im Job war, dass sich das Vertrauen in die Mitarbeiter zu Hause gelohnt hat. Die Leistung ließ nicht nach, die Zufriedenheit stieg bei vielen an. Mein Alltag ohne tägliches Pendeln von Freiburg nach Basel war erheblich stressfreier und ich konnte mehr Zeit in meine Arbeit investieren, weil weniger beim Stehen im Gang vor der Zugtoilette verpuffte (so viel zur “Quality Time” beim Pendeln).


Warum darf nicht ins Büro fahren, wer sich dort wohlfühlt, und zu Hause bleiben, wer dort besser, entspannter, konzentrierter arbeiten kann?


Das Jo-Jo schlägt zurück, freiere Arbeitskonzepte werden wieder eingeschränkt und sowohl Lutz als auch ich können uns immer wieder in in Bewerbungsprozessen nicht durchsetzen, teilweise sogar mit dem direkten Hinweis auf andere gleichermaßen oder sogar weniger geeignete Bewerber, die aber in der Nachbarschaft des Arbeitgebers wohnen und jeden Tag ins Büro zu kommen versprechen.


Die Pläne ändern sich - mal wieder


Die Zeit ist offensichtlich noch nicht reif für unsere Lebensträume. Aber gut, wenn wir eines sind, dann ist es flexibel. Also passen wir uns wieder einmal den Gegebenheiten an und entscheiden, dass wir nach Deutschland zurückkehren werden. Mit einem solidem deutschen Wohnsitz und der Bereitschaft, unseren Arbeitgeber in spe auch regelmäßig mit unserer physischen Anwesenheit zu beglücken, planen wir unsere Heimkehr in den Norden.


Aber eine Freiheit lassen wir uns noch nicht nehmen: Zumindest den Winter werden wir noch in der Sonne verbringen!

Zum Abschluss unserer großen Reise werden wir noch eine kleine anschließen: Wir werden sämtliche sieben Kanarischen Inseln bereisen und erst Anfang April nach Deutschland zurückkehren - dann, wenn der Winter hoffentlich endet.





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