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Endlich wieder alte Steine

Ein Ausflug in die minoische Kultur


Unsere Reiseroute durch Südeuropa entspricht rein zufällig einer Reise durch geschichtliche Epochen in umgekehrter Reihenfolge. Renaissance und Mittelalter in Norditalien, ab Rom dann ab in die römische Antike (ca. 500 vor bis 500 nach Christus), hinüber in die griechische Antike (ab ca. 1200 v. Chr.), weiter nach Mykene (ab ca. 1750 v. Chr.) und nun sind wir bei der minoischen Kultur angekommen (ab ca. 2800 v. Chr.). Kretas Tourismus-Management wird jedenfalls nicht müde zu betonen, dass es sich dabei um die früheste Hochkultur Europas handelt.


Das Wichtige im Griff. Frühe minoische Keramik.

Eine bemerkenswerte Gesellschaft war das, die sich von den anderen genannten Epochen kulturell in vielerlei Hinsicht unterschied. Die Quellenlage ist aber leider dürftig, denn die Minoer benutzten zwar eine Schrift, genannt Linear A, diese ist aber bis heute nicht entziffert worden. Wobei diese Aussage nur halb richtig ist, denn anscheinend konnte man herausfinden, wie die Zeichen von Linear A ausgesprochen werden, hat dabei aber keinerlei Ahnung, was die sich daraus ergebenden Worte und Klänge bedeuten, denn die minoische Sprache ist mit keiner anderen indoeuropäischen Sprache verwandt. So als könnte man dank einer plötzlichen Eingebung chinesische Schriftzeichen lesen, ohne dabei die Sprache zu verstehen.


Aus der frühen mykenischen Zeit sind dann einige Schrifttäfelchen mit Linear B erhalten, die man heute lesen kann. Aber was liest man da? Letztlich wieder nur, wie viele Gefäße Olivenöl Nikos in diesem Jahr in Sachen Steuer abgegeben hat. Oder längliche Listen mit den Namen aller möglicher kretischer Schäfer und dem Ertrag ihrer Schafherden. Also Verwaltungstexte, die sich nur zufällig erhalten haben, weil die Tontafeln, auf denen sie temporär festgehalten worden waren bei einem der unzähligen Palastbrände absichtsfrei gebrannt und damit fixiert worden waren.


Im archäologischen Museum von Heraklion


Was bei den Minoern also tatsächlich los war darf man sich heute aus ihren Bauten, Töpferwaren, Alltagsgegenständen, den Grabbeigaben und erhaltenen Gemälden und Fresken zusammenpuzzeln. All diesen mehr oder weniger alltäglichen Kleinkram stellt das Museum in Heraklion aus und es sind jede Menge ausgesprochen hübsche kleine Preziosen dabei.



Zum Beispiel die vielen überraschend bunten getöpferten Tafelservice, also Tassen und Kannen und Töpfchen und Vasen, bei denen ich überzeugt bin, sie schon in diversen WG-Küchen im wild zusammengewürfelten Geschirr-Regal gesehen zu haben. Durchaus interessant, wie man solche Designs in Tante Monis Küche scheußlich, im Museum mit dem Stempel „anno 2500 BC“ aber ganz wundervoll findet. Jedenfalls wird aus solchen Tassen zweifelsohne seit 5000 Jahren griechischer Bergtee getrunken.



Die Minoer umgaben sich offensichtlich gerne mit hübschen Dingen, die Gegenstände sind oft sehr klein, aber fein ausgearbeitet und liebevoll gestaltet. Auch bei den Götterbildern sucht man Monumentales umsonst. Es ist klar, dass eine Göttin angebetet wurde, eine große schöne Frauenfigur mit üppigen Brüsten, die den Betenden bei Ritualen offensichtlich stets in der Natur erschien, wo sie vom Himmel zu schweben pflegte, meist in Begleitung von Schlangen und anderem Getier. Man vermutet also eine Fruchtbarkeitsgöttin vor sich zu haben, mit der Macht über die gesamte belebte Natur. Ihre kleine Statuette aus dem Palast von Knossos ist sicherlich das bezauberndste Fundstück der gesamten Ausstellung.



Die Rituale zu Ehren der Göttin wurde hauptsächlich von Priesterinnen durchgeführt, auch auf den meisten gefunden Bilder und Fresken sieht man jede Menge gut gekleidete Damen mit reichlich Schmuck und überzeugender Oberweite, die von anderen bedient werden. Königsdarstellungen sind Fehlanzeige. Der berühmte König Minos mit seinem Minotaurus ist also vermutlich eine Erfindung der nachfolgenden Griechen, die es bekanntlich nicht so sehr mit den Frauen hatten. Wir stellen uns lieber eine einflussreiche Priesterin Mina vor, wenn wir so wollen.



Und was die Stiere angeht: die wurden gerne der Göttin geopfert oder man benutzte sie als spannendes Sportgerät, denn der Sprung über den Stier war offensichtlich ein Sport, der von jungen Minoer/innen ausgeübt wurde, davon gibt es diverse Darstellungen und die Ägypter, die mit Kreta handelten und minoische Paläste besuchten, haben auch von dieser antiken Extremsportart berichtet. Dabei packte man den Stier im Lauf frontal bei den Hörnern und ließ sich auf den Rücken des Tieres schleudern, bevor man mit einem Salto an seinem hinteren Ende abging.



Betonwüste Knossos


Inhaltlich gut vorbereitet besuchten wir an unserem zweiten Tag in Heraklion die minoische Palastanlage von Knossos, damals die bedeutendste und größte minoische Siedlung, heute quasi ein Stadtteil von Heraklion. Mit dem Stadtbus fährt man auf einer ewigen Ausfallstraße, entlang von Supermärkten, Babywaren-Superstores und Autohäusern bis man nach ein paar letzten hundert Metern mit Alibibäumen an der Ausgrabung ankommt.


Ja, was soll man sagen zu Knossos, wie es sich heute darstellt? Vielleicht, dass man hier sehr deutlich sieht, dass die Archäologie zur Ausgrabungszeit (ab 1900) offensichtlich noch in ihren Kinderschuhen steckte. Oder dass der berühmte Ausgräber von Knossos, Sir Arthur Evans, ein englischer Archäologe, eine spezielle Auffassung von Konservierung hatte. Jedenfalls ließ er großzügig Flächen und Gebäudeteile zubetonieren. Das Ziel war, die empfindlichen freigelegten Strukturen zu schützen und dem Betrachter einen besseren Eindruck von der Anlage, wie sie damals vor ca. 4000 Jahren ausgesehen hatte, zu vermitteln.



Böse Zungen meinten schon damals, dass die Interpretation der baulichen und dekorativen Funde „künstlerisch sehr frei“ erfolgte. Da wurden dann schon mal Fresken mit jungen unbekleideten Herren ergänzt, seltsamerweise mit blauer Haut, aber was soll´s. Heute weiß man, dass hier Paviane dargestellt waren. Ähnlich freimütig wurden die Gebäudereste ergänzt, wie bereits gesagt mit großzügigen Mengen von Beton, die sich mit den antiken Bauresten untrennbar verbunden haben. Was Herr Evans zubetonierte, wird also bis in alle Ewigkeit so stehen bleiben, vorausgesetzt natürlich, dass der heute bröckelnde Beton bei den Erhaltungsmaßnahmen mitbedacht wird. Immerhin hat Evans im Dienste der Ästhetik in seine Betonbalken eine besonders geschmackvolle fake-Holzmaserung einarbeiten lassen.



Man geht also durch die Ausgrabung hindurch und weiß nicht, wie man das alles finden soll. Und ob man das überhaupt glauben kann. Und da es nirgendwo herausgearbeitet ist, kann man auch nie sagen, was noch Original und was bereits Evans´sche Ergänzung oder Erfindung ist.


Definitiv ist das Palastgelände labyrinthisch, in mehreren Stockwerken mit vielen Treppen verschachtelt. Kleine Räume, enge Gänge, große Innenhöfe, üppige Lagerräume für Lebensmittel im Untergeschoss. Die Anlage weist Zugänge an mehreren Seiten auf und gruppiert sich um große offene Innenhöfe, es gibt keine Schutzmauer, und da dieser sogenannte Palast zusätzlich noch in einer Senke liegt, muss er ein seiner Funktion eindeutig etwas anderes gewesen sein als die Schutz- und Trutzburgen der späteren Kulturen. Da es ja zudem keine Belege für ein Königtum gibt, geht man heute davon aus, dass dieser „Palast“ vermutlich eher eine Kombination aus kommunalem Verwaltungsgebäude und religiösem Zentrum war, zugänglich für die Bevölkerung und Austragungsort gemeinschaftlicher Rituale zu Ehren der Gottheit mit anschließendem Gelage für alle.


Evans, im Gedankengut seiner Zeit fest verwurzelt, benannte die Räume, die er (er)fand allerdings brav „Thronsaal“, „Megaron des Königs“, „Badezimmer der Königin“ und so werden sie bis heute auf den Erklärungstafeln benannt, auch wenn man sich sonst von diesen Interpretationen distanziert.



Was aber eindeutig klar ist: Wenn Herr Evans nicht Säulen und Wände hätte rekonstruieren und knallebunt anpinseln lassen, dann würden heute sicherlich nicht einmal halb so viele Touristen die Ausgrabung besuchen.


Geschafft! Kleine Pause vor historischem Artefakt.

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