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Lydia, Lepra, Laufen

Grave dwelling in Matala


Von wegen Peace and Love – vom Hippie-Spirit erleben wir in Matala nichts mehr. Aber wie auch. Nachdem die Hippie-Horden in den 60er Jahren in die „Höhlen“ von Matala eingezogen waren, vergingen keine zehn Jahre bis in 1970 das Militär einmal durchräumte. Heute sind die Felshöhlen abgesperrt und als das markiert, was sie eigentlich einmal waren: römische Gräber, ähnlich den Kolumbarien und Familiengräbern, die wir in den Katakomben Roms gesehen hatten. Nur eben oberirdisch und mit hübschem Blick über die Bucht.





Das winzige Örtchen Matala ist in der Nebensaison natürlich so verschlafen wie alle unsere bisher bereisten Ziele. Putz blättert von Wänden, ehemals bunt bemalte Straßenabschnitte sind verblichen, keine Alt- oder Neu-Hippies weit und breit. Vermutlich darf man sich demnächst einmal ein neues Image für den Ort überlegen, denn die Generation, die in den guten alten Hippietagen jung war, ist so langsam nicht mehr reisetüchtig. Und die Jüngeren wissen damit nicht mehr viel anzufangen. Wir nutzen unseren Zwischen-Besuchs-Tag zum Spazieren zu den nahegelegenen südlichen und nördlichen Stränden, die sehr hübsch und sehr windig sind.



Ab in den Osten mit Lydia


Bereits einen Tag später erreicht Lutz´ Mutter Lydia den Flughafen von Heraklion, im Gepäck ihr wunderbar sonniges Gemüt und jede Menge Wanderpläne. In den nun folgenden neun Tagen mit ihr werden wir an sechs Tagen wandern, nur der Ankunftstag in Heraklion dient zur Sammlung und Planung und zwei Tage gehen drauf für Transfers. Wir sind nach wie vor nur öffentlich unterwegs, mittlerweile verstehen wir auch ganz gut, wie das kretische Busnetz funktioniert und nutzen es professionell auf unserem graduellen Weg in den Osten der Insel.


Zur Einstimmung ein kurzer Spaziergang am alten Hafen von Heraklion

Lovely days at the leper colony


Unsere erste Station ist der Küstenort Elounda. Wir verbringen hier drei wunderbare Tage, dennoch wage ich es nicht, den Ort oder auch nur irgendeinen Ort an Kretas Nordküste zwischen Heraklion und Agios Nikolaos zu empfehlen. Unser Zauberwort ist wie immer „Nebensaison“ – aber die Hotelburgen, Wasserparks, Touristenshops, Autovermietungen und „traditional Cretan Tavernas“ pflastern unseren Weg an der gesamten Küste entlang. Noch hat alles geschlossen, es ist noch niemand dort, aber das Potential, das sich hier in den Sommermonaten voraussichtlich entfaltet, ist ganz enorm.


Wie dem auch sei, wir erleben Elounda recht beschaulich mit geschlossenen Hotels, kaum besuchten Gaststätten, leerem Strand. Baden kann man auch nicht, viel zu kalt, hier gibt es nicht einmal griechische Omis mit pinken Badekappen, da ein ungemein frischer Wind beständig in die Bucht zwischen Festland und vorgelagerten Inselchen bläst. Aber die Sonne scheint und es ist hervorragendes Wetter für Wanderungen – oder einen kernigen Sonnenbrand.



Letzteren holt sich Lydia leider am Fuß, in ansprechendem Sandalenmuster, als sie mit Lutz die ehemalige Leprakolonie auf der Insel Spinalonga besichtigt. Ich passe und wandere derweil in den Hügeln umher, weil wir Spinalonga bereits eine Woche zuvor schon einmal mit Lisa und Bernhard aufgesucht hatten.


Spinalonga


Das kleine Spinalonga, vom Land aus gesehen

Der Ort fasziniert und gruselt gleichermaßen. Wie sehr viele alte Anlagen hier waren die Gemäuer Spinalongas ursprünglich als eine venezianische Festung zur Abwehr von Handels- und sonstigen -Konkurrenten erbaut worden. Also unter anderem, um das kretische Festland vor den Ottomanen zu verteidigen. Nachdem ebenjene die Festungsinsel und alle weiteren kretischen (und festlandgriechischen) Forts und Befestigungen ziemlich mühelos eingenommen hatten, siedelten sie selber dort, unter anderem auch, weil die Kreter auf dem Festland nicht sehr begeistert von den neuen Herrschern waren. Und nach der griechischen Unabhängigkeit von der der Türkei fand man erneut einen passenden Zweck für die Insel. Die Befestigungen und die isolierte Lage vor der Küste eignete sich ja schließlich nicht nur, um äußere Einflüsse abzuhalten, nein, man konnte dort untergebrachte Menschen auch wunderbar am Entkommen hindern.



Kein Gefängnis, sondern schlimmer: eine Leprakolonie. Wer dorthin gebracht wurde, der kam nie wieder fort. Wir rekapitulieren: Lepra ist eine chronische bakterielle Erkrankung, die Bakterien greifen Nerven und Blutgefäße an. Gerade durch das Absterben der Nervenfasern wird die Haut zunehmend unempfindlich für Schmerz und das ist das eigentlich Perfide, denn selbst kleine Wunden infizieren sich schnell, ohne dass die Erkrankten es fühlen könnten. Dann kommt es zu großflächigeren Entzündungen, ganze Körperpartien sterben ab, weitere Erreger dringen über die Wunden in den Körper ein, es geht bergab – das ist wirklich alles ganz furchtbar.


Die Lepra begleitet den Menschen vermutlich schon immer, denn alle Kulturen kannten Regeln zur Aussonderung Erkrankter. Man steckt sich durch Tröpfcheninfektion an, und obwohl der Erreger nur schwach infektiös ist und daher enger Kontakt mit Erkrankten notwendig, war die Krankheit vermutlich schon immer abschreckend genug, um nicht nur den Kontakt zu meiden, sondern die Erkrankten vollkommen zu stigmatisieren.


Der frische griechische Staat erkannte das Isolationspotential von Spinalonga und quartierte ab 1904 sämtliche Leprösen Griechenlands in den ehemaligen Häusern der Türken ein. So schön das Inselchen ist und so herrlich der Blick auf das tiefblaue Meer und das lächerlich nahe Festland, ein Spaß war das damals nicht für die Erkrankten. Die Häuser waren baufällig, es gab nicht viel zu wirtschaften auf der winzigen Insel und der griechische Staat unterstützte die Kranken anfangs kaum. Wer versuchte, aus der Misere zu fliehen, wurde rasch wieder eingefangen und zurückgebracht. Im Schnitt kam einmal in der Woche ein neuer Patient an und einer verstarb. Dazu muss man aber wissen: mit Lepra kann man sehr lange leben. Alleine die Inkubationszeit kann schon bis zu zwanzig Jahre dauern. Die Patienten verbrachten ihr gesamtes Leben auf der Insel, es gab Paare, Kinder wurden geboren, die wurden allerdings nach sechs Monaten in ein Waisenhaus in Athen gebracht.


Ein miserables Leben also, das sich erst in den 40er Jahren langsam änderte, als wirksame Therapien (Antibiotika-Kombinationen) gefunden waren. Ab 1948 durften Geheilte erstmals die Insel verlassen. 1962 ließ der letzte Bewohner die Insel hinter sich, seitdem ist sie ein unbewohntes Freilichtmuseum, das vermutlich noch den abgestumpftesten Besucher anrührt.


Und wer sich vorher nicht informiert hat, der geht hier noch dem vermutlich meistgehassten Kiosk Griechenlands auf den Leim. Das einzige Kiosk der Insel verkauft Snacks und Getränke nämlich zu Fantasiepreisen, die es sich durch seine Marktbeherrschung traut zu erheben. Da der Besucher nur einmal pro Stunde mit der Fähre aufs Festland übersetzen kann, scheint der Durst schon so manchen Unvorbereiteten kurz vor den finanziellen Ruin gebracht zu haben. Die Google-Kommentare lesen sich allerdings ungemein erfrischend (die am häufigsten genannten Begriffe sind „Diebstahl“, „Betrug“ und „Achtung, Abzocke“), man genießt sie vor allem wenn man wie wir mit vollen Lunchpaketen auf Spinalonga übergesetzt hat.




Elounda umwandern








Zu Fuß durchqueren wir die deutlich größere und gänzlich unbesiedelte Nachbarinsel von Spinalonga, treffen dort nur auf verlassene Hütten und gelegentlich noch auf Schafe und dazugehörige Schäfer.



Das war schon sehr nett, aber richtig spektakulär wird es dann auf dem Weg auf den Oxia-Berg mit den Ruinen einer angeblich antiken Stadt und vor allem einem wundervollen Blick auf die Bucht von Elounda und die sogenannte Mirabello Bucht mit der Nachbarstadt Agios Nikolaos. Hier ist alles wie aus dem Bilderbuch. Der Himmel blau, das Meer noch blauer, die Berge im Frühling noch grün und voller Blumen. Über unseren Köpfen kreisen beeindruckend viele Gänsegeier, aber bei all der Fülle haben sie wirklich keine Chance bei uns.


...und Abends wird auch noch mal nachgefüllt.


Als Wandersnack hängt hier überall Johannisbrot am Baum

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