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Nachtzug nach Venedig

An einem bitterkalten Abend Anfang Dezember warteten Lutz und ich zitternd in der Münchner Bahnhofshalle und sahen einer kleinen Maus dabei zu, wie sie die Krümel des Arbeitstages der Bahnhofsbäcker wegräumte. Kurz nach 23 Uhr stiegen wir dann erleichtert in den Nachtzug, der uns in 9 Stunden von München nach Venedig bringen sollte.


Eine Nacht im Nightjet



Wir hatten das Glück nur zu zweit in einem 4er-Liegewagen untergekommen zu sein, also Platz für uns und unsere überdimensionierten Gepäckstücke. Wir lagen oben, die Rucksäcke unten, der Schaffner erfragte die Frühstückswünsche, die Fahrt ging los. Furchtbar müde und verfroren fielen wir schnell in einen oberflächlichen Schlaf, aus dem wir gelegentlich durch Bremsmanöver oder Grenzkontrollen gerissen wurden, alles in allem aber relativ friedlich ruhen durften, bevor der Schaffner uns eine Stunde vor Ankunft endgültig weckte, um uns mit Kaffee und Semmeln zu beglücken. Wie bei allen Nachtzug-Fahrten fand ich es auch dieses Mal wieder großartig: Man steigt an einem Ort ein, legt sich hin und schläft und wacht am nächsten Morgen an einem völlig anderen, am besten neuen und aufregenden, hoffentlich auch wärmeren Ort auf. Über eine schmale Landbrücke fuhr der Zug im Bahnhof von Venedig ein. Nur wenige Schritte durch die Bahnhofshalle, dann standen wir im Morgenlicht am Canal Grande.


Was für eine Aussicht!



Ich war zum ersten Mal in Venedig, der Anblick der Palazzi mit ihren elegant verspielten Fassaden und vom Canal gefluteten Treppen und Türen im Erdgeschoss, von Vaporetti, Motorbooten und Gondeln, von Stegen, Brücken und schwankenden Anlegestellen war trotz aller Fotos oder Videos, die ich bereits gesehen hatte, eine wirkliche Überraschung.


Wir blieben drei Tage und jeden Morgen war ich erstaunt über den Charme dieser weichgezeichneten Stadtlandschaft in Pastelltönen, vielleicht lag es am Dezemberlicht, vielleicht war es die Feuchtigkeit der Lagunenluft. Da die Häuser fast immer direkt an den Kanälen abschließen, es also keinen Fußweg oder Steg zum Wasser hin gibt, wirkt es, als würden sie direkt aus dem Wasser wachsen. Oder darin versinken, denn jeden Tag erlebten wir ein kleines Hochwasser, jeweils zur Zeit der Flut, das nicht nur einige Straßen und Plätze unter Wasser setzte, sondern auch die Erdgeschosse der am tiefsten gelegenen Häuser überschwemmte.


Aqua alta


Die Venezianer und andere Profis haben natürlich längst die Aqua-alta-App installiert und informieren sich laufend über Pegelstände. Am Morgen geht man dann mit Gummistiefeln aus dem Haus. Den Touristen wiederum wird ein venezianisches Must-have angeboten: Plastiküberzüge für die Schuhe in schreienden Neonfarben. Wer die hat, ist zwar sofort als Tourist zu identifizieren, kann dafür aber quer über den Markusplatz zu den besten Selfie-Spots waten, während sich der schlechter ausgestattete Rest der touristischen Horde über die zwei Personen breiten Stege schieben und drängeln muss – Stehenbleiben ausgeschlossen.



Ganz wunderbar war die Fortbewegung mit den Vaporetti, den Motorbooten, die quasi als Stadtbuslinien fungieren. Wir nutzten sie jeden Tag mehrfach, ganz einfach auch deswegen, weil wir uns nichtsahnend ein Hostel auf der Stadtteil-Insel Giudecca ausgesucht hatten, die ausschließlich auf dem Wasserweg zu erreichen ist. Um unsere Vaporetto-Dreitageskarte dann ordentlich auszulasten, fuhren wir dazu noch kreuz und quer durch die Lagune zu den Nebeninseln Murano und Burano, wo die Häuser mit zunehmendem Abstand von Venedig immer kleiner und einfacher werden, die Türme aber allesamt ebenso schief sind wie auf den Hauptinseln. Abends schaukelte uns das Vaporetto dann ganz gemächlich zurück bis fast vor die Haustüre des Hostels, eines ehemaligen Kornspeichers mit üppigen Ausmaßen.



Eine Randnotiz zur Fortbewegung über und unter Wasser: Kreuzfahrtschiffe sahen wir an unseren drei Tagen in Venedig glücklicherweise keine, die größten Boote waren die handlichen Vaporetti. Die Vorstellung, dass sich diese riesigen mehrstöckigen Monstren sonst zwischen den zierlichen Palazzi durchschieben, ist wirklich beunruhigend. Und entgegen der Meldung von März 2021 sahen wir auch keine Delfine in den Kanälen – das Video mit den Delfinen im Canal Grande war nämlich leider ein Fake. Wie schön wäre es, wenn es sich mit diesen beiden Phänomenen umgekehrt verhielte.


Lieblich und teuer


Unser knappes Tagesbudget wurde in Venedig meist überschritten, wir sparten zwar an den Übernachtungen (im 16er Schlafsaal), konnten in unserem Hostel aber leider nicht kochen, zur Freude der venezianischen Gastronomie. Das Vaporetto war ebenfalls nicht geschenkt, die meisten Eintritte zu Sehenswürdigkeiten (Dogenpalast: 26 €, einmal herunterschauen vom Markusturm: 12 €) sparten wir uns dann gleich ganz, genauso wie die vermeintlich obligatorische romantische Gondelfahrt (knapp 100 € für 30 min). Auf diesem Preisniveau konnten wir nicht allzu lange bleiben, Venedig war zwar wunderschön, aber auch etwas anstrengend durch die vielen Touristen in den engen Gässchen und die Notwendigkeit, immer wieder auswärts etwas bezahl- und essbares aufzutreiben.

Und wir froren immer noch! Zwischen 0 und 5 Grad, feucht und windig war es auf den Inseln der Lagune. Ganz klar, wir mussten weiter, natürlich weiter in den Süden.



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