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Steine und Meer Teil 3

Aktualisiert: 4. März 2022

Kreuz und quer durch Griechenland - jetzt auf dem Peloponnes


Von Athen aus fahren wir auf den Peloponnes, eine Halbinsel in der Form einer Hand, die allerdings nur vier Finger hat. Im Osten war die Halbinsel früher an einer schmalen Engstelle, dem Isthmus von Korinth, mit dem Festland verbunden. Neuerdings (Achtung, seit 1893, bei den hiesigen geschichtlichen Dimensionen also quasi gestern) ist sie aber durch einen Kanal vollständig von diesem getrennt.


Den Kanal wollte sich Lutz gerne genauer anschauen, was dann aber nach einer Irrfahrt durch Olivenhaine in einer ehemaligen deutschen Bunkeranlage mündete, in der einerseits Schilder vor verborgenen Sprengkörpern warnten, andererseits die Verwaltung von Korinth zudem noch eine Kläranlage direkt neben die Weltkriegsbunker gesetzt hatte. Also kein Blick auf den berühmten Kanal und kein entspanntes Snacken im Grünen.

Wir wendeten und fuhren direkt weiter nach Nafplion.


Nafplion


In der Hafenstadt Nafplion verbringen wir einige Tage, um von dort aus die nähere Umgebung zu erkunden. Nafplion liegt auf dem Peloponnes ziemlich genau zwischen Daumen und Zeigefinger.



Außerhalb der Saison ist der Ort wirklich hübsch und beschaulich mit seinen zweigeschossigen pastellfarbenen Häusern der Jahrhundertwende. Wegen der Häufung von Cafés und Restaurants entlang der Hafenpromenade vermuten wir allerdings, dass sich hier im Sommer wohl die Segler und Yachtbesitzer die Klinke in die Hand geben. Jetzt im Winter liegt das Vorbild für Jeff Bezos neue Segelyacht vor Anker, die man aktuell chartern könnte, die Etablissements der Hafenpromenade haben alle geschlossen und die Stadt erwacht nur Freitag- und Samstagabend aus dem Winterschlaf, wenn die Einheimischen durch die Gässchen bummeln.



Wir wissen es zu schätzen, dass man hier auf einer tollen Route direkt am Meer joggen gehen kann, steigen auf die venezianische Festungsanlage über der Stadt und fahren die nächstgelegenen UNESCO Weltkulturerbestätten an, denn nur Meer ohne Steine, das geht bei uns ja auch nicht.


Epidauros


Göttliche Autosuggestion


Man wusste sich bestens zu helfen im antiken Epidauros, wohin seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. der kränkelnde Grieche pilgerte, um sich von Asklepios heilen zu lassen. Asklepios, zu Deutsch auch Äskulap, ist der griechischer Gott der Heilkunst, seine bis heute hinlänglich von jeder Apotheke bekannten Symbole sind der Stab und die Schlange.


Wer von ebenjenem nun erfolgreich geheilt worden war, der hinterließ eine Stele in Epidauros, einige finden sich heute im kleinen Museum der Anlage und eine davon hat mir besonders gut gefallen. Da schreibt ein glücklich Geheilter, dass ihn seine arge Verstopfung nach Epidauros getrieben hatte. Man habe ihm dort dann eine Diät aus Brot, Käse, Salat und Sellerie angedeihen lassen. Zudem habe er viel laufen und spazieren gehen sollen, ordentlich baden sowie in der Bibliothek mal ein gutes Buch lesen. Letzteres habe ihm dann aber wiederum Kopfschmerzen bereitet, wovon ihn Asklepios mit anderen Mittelchen schlussendlich ebenso geheilt hätte. Er sei nun sehr dankbar und gesund wieder abgereist.


Abgesehen von Sport und Sellerie, die sicherlich nicht nur bei Verstopfung ganz gut getan haben, war der Vorgang der eigentlichen Heilung so wundervoll, dass ich überzeugt bin, dass man damit heute noch vielen an der Schulmedizin zweifelnden erfolgreich helfen könnte.

Der Kranke betrat hierzu nach ritueller Waschung und weiterer Vorbereitung das Abaton, vulgo den allerheiligsten Tempelbereich, um sich hier zum Schlafen niederzulegen - nicht ohne jedoch vorher die diversen Dankes-Stelen der zuvor geheilten Besucher gründlich durchgelesen zu haben. Danach wurde geschlafen und im Traum erschien dem Kranken dann Asklepios in Sachen Wunderheilung. Am Morgen wachte man auf und alles war paletti. Wer nachts wach war, konnte übrigens erleben, wie eine Schlange aus dem Mauerwerk kroch, um sich um die zu heilende Körperpartie zu kümmern. Na dann lieber schlafen.

Die Kombination aus gesundem Lebenswandel und etwas rituellem Brimborium mit einer ordentlichen Portion erwünschter Autosuggestion hat offensichtlich fast 1000 Jahre bestens funktioniert, denn die ganze Anlage von Epidauros mit Tempeln, Bädern, Stadion, Hotel(s) und natürlich dem berühmten Theater wurde erst 426 n. Chr. geschlossen – der christliche Kaiser verbot damals sämtliche heidnischen Kulte, da war dann also auch Schluss mit Olympia, Delphi etc.


Heute sind von den meisten Gebäuden nur noch wenige Steinfundamente erhalten, hier und da eine Säule. Nur das Theater ist in einem ausgesprochen guten Zustand und die fantastische Akustik durften Lutz und ich als einzige Besucher mit einer exklusiven Privataufführung testen.

Steht man unten auf dem Stein, der die Mitte der Bühne markiert, hört man sich selbst fast unheimlich akustisch verstärkt durch den Wiederhall der aufsteigenden Sitzreihen sprechen. Ganz oben noch in der letzten Reihe hört man das Gesagte recht deutlich. Und in diesem Moment auf der antiken Bühne stelle ich dann fest, dass mir absolut nichts einfällt, was ich sagen könnte. Man müsste doch eigentlich eines der großen griechischen Dramen zitieren, die hier sicherlich alle schon vor tausenden Jahren aufgeführt wurden. Doch selbst die leeren Ränge schüchtern mich einsame Möchtegern-Darstellerin, klein wie eine Ameise in der Bühnenmitte, ein und ich schleiche nach wenigen „Ahs“ und „Hallos“ etwas geknickt hinaus.



Mykene


Als ich Lutz fragte, was ich seiner Meinung nach unbedingt über Mykene schreiben sollte, meinte er, dass ihn ja besonders die Verbindung dieses Ortes zum antiken Troja und dem trojanischen Krieg besonders fasziniert hätte.

Und schon sind wir potentiell mittendrin in einer Diskussion über das Ende der Bronzezeit, die mysteriösen Seevölker, Erdbeben, Großbrände, die Datierung der unterschiedlichen baulichen Schichten Trojas und Heinrich Schliemanns faktische Raubgrabungen in Kleinasien und später in Mykene.

Ja, die Geschichte mit dem historischen Ort Mykene und der homerischen Ilias und den Sagen um den Untergang Trojas ist reichlich verzwickt und die Historiker und Archäologen sind sich auch nicht immer einig. Ich versuche die mykenische Sachlage mit meinem kümmerlichen Verständnis einmal so kurz wie möglich zusammenzufassen.


Laut der Sage herrschte in Mykene in der Zeit der antiken Helden Agamemnon als König. Dessen Bruder, dem König von Sparta, wurde in reichlich ungastlicher Manier bei einem Besuch der trojanischen Delegation in Sparta die Ehefrau, nämlich die schönste Frau der griechischen Welt, Helena, entführt. Zu allem Überfluss war der Entführer ein trojanischer Prinz, der das Gastrecht so ungebührlich ausgedehnt hatte. Spartas König bat nun mannhaft seinen Bruder Agamemnon um Hilfe und der schleppte dann gleich mehr oder weniger alle erwachsenen Krieger Griechenlands nach Troja, wo den Trojanern nun recht eindrücklich gezeigt wurde, was man von derartigen romantischen Grenzüberschreitungen hielt: Man legte die Stadt in Schutt und Asche und entführte seinerseits sämtliche Frauen, die man nicht schon beim Vorgang der Eroberung selbst zu sehr in Mitleidenschaft gezogen hatte.


Agamemnon soll aus Troja die unglückliche Seherin Cassandra mitgebracht haben, lange konnte er sich dann allerdings weder seines großartigen Raubzugs noch des Familienglücks in der Heimat erfreuen. Seine Ehefrau hatte in seiner Abwesenheit nämlich ihrerseits etwas mit Agamemnons Cousin angefangen, unter anderem, weil sie mit seiner Entscheidung, für günstige Winde zum Segeln die gemeinsame Tochter zu opfern, nicht ganz einverstanden gewesen war. Ehefrau und Lover töteten Agamemnon und Cassandra gleich mit dazu. Und um noch mehr Stoff für die große griechische Tragödie zu schaffen, tötete anschließend der eigene Sohn Mutter und Liebhaber, um wiederum den Vater zu rächen.


Damit war also diese Generation der mykenischen Herrscherriege verstorben, und Heinrich Schliemann kam etwa 3500 Jahre später die große Ehre zu, deren Gräber für die Nachwelt wiederzuentdecken. Agamemnon war natürlich ehrenvoll innerhalb der Stadtmauer beerdigt worden, seine schändliche Ehefrau und ihr Liebhaber jedoch zur Strafe außerhalb. Überall fand er in den Gräbern allerdings üppigste bronzene und goldene Beigaben, die wir kürzlich im Nationalmuseum von Athen bestaunen durften.


Oben: Blick auf Mykene, mittig der Eingang eines großen Grabes vor der Stadtmauer, rechts Blick aus dem massiv gemauerten Grab.
Unten: Grabbeigaben aus Mykene im Nationalmuseum von Athen. Ganz rechts die berühmte angebliche Totenmaske des Agamemnon. Beim Anblick der alternativen Totenmaske links wird klar, warum Schliemann die rechte Maske zur Vermarktung seines Schatzfundes wählte.

Die moderne Archäologie spuckt hier natürlich kräftig in die sagenhafte Suppe: die mykenischen Gräber und die gesamte Burg mit den riesigen Mauern sind viel älter als die Zeit, in der der trojanische Krieg (so er überhaupt stattgefunden hat) sich abgespielt haben soll. So datieren die Gräber auf etwa 1600 v. Chr., die Zerstörung Trojas wird in einem Zeitraum zwischen 13. und 12. Jahrhundert v. Chr. vermutet.


Wie die Herrscher Mykenes nun wirklich hießen, das weiß man leider auch nicht, denn es wurden zwar eine Menge Schrifttäfelchen aus mykenischer Zeit gefunden, diese enthielten aber immer nur dröge Verwaltungstexte, die festhielten, wer von wem wie viele Amphoren mit Olivenöl erhalten hätte und solcherlei Dinge.

Als die Ilias verfasst wurde (von Homer? Auch das weiß man ja nicht genau), so etwa um 800 v. Chr., war jedenfalls der trojanische Krieg schon lange vorbei und die mykenische Kultur der Bronzezeit war seit 400 Jahren passé. Im 3. Jahrhundert v. Chr. wurde die Stadt dann endgültig aufgegeben.



Was aber unzweifelhaft feststeht ist, dass die massiven Mauern und das faszinierende Löwentor von Mykene, durch das man heute noch gehen kann, weit über 3000 Jahre alt sind, und damit die ältesten Bauwerke, die wir bislang auf unserer Reise gesehen haben.

Und noch eine Besonderheit: weil Mykene schon in der Antike so berühmt war, gab es dort auch schon immer Tourismus. Es sind sogar antike Reiseberichte erhalten, wie zum Beispiel von Pausanias, einem Reiseblogger, der dort ca. 200 n. Chr. Station machte und bei der Gelegenheit ebenfalls über das Löwentor und die eindrucksvollen Mauern schrieb, die, wie er festhielt, von Zyklopen erbaut worden waren.


Über 2000 Jahre Tourismus, Reiseblogs und Fehlinformationen, das könnte durchaus ein Rekord sein.

Mykene anno 1987: Sophie muss noch nicht zu Fuß gehen.
Anno 2022: das Löwentor hat sich jedenfalls nicht verändert.

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