Sophie
Weiter laufen mit Lydia
Von Elounda bringt uns der Bus in den winzigen Ort Kavousi. Lydia hat noch von Deutschland aus eine wunderbare Tour für uns recherchiert, die durch zwei Schluchten und vorbei an antiken Ruinen und einem uralten Olivenbaum führen soll.
Um den Plan in die Tat umzusetzen brauchen wir nur noch eine Unterkunft in dem Dörfchen – und zum Glück gibt es auch genau eine. „Tholos Rooms“ heißt dieses Goldstück, vielleicht etwas ungeschickt benannt nach den Tholos-Gräbern, die hier in den Gegend zahlreich gefunden wurden. (Die Tholos-Form ist eine Rundform, bezeichnet also ein Grab mit Kuppeldach, wie die riesigen Beispiele, die wir in Mykene gesehen hatten.)
Übernachtung mit Familienanschluss

Als wir am frühen Nachmittag ankommen erscheint die Pension auch passenderweise etwas ausgestorben. Niemand da, denken wir, und dann tritt Maria auf den Plan. Wie wir später lernen ist sie die Mutter des aktuellen Inhabers. Sie ist 82 Jahre alt, kittelbeschürzt, etwa 1,50m groß, komplett zahnlos und absolut motiviert, unser Einchecken in Abwesenheit ihres Sohnes eigenständig zu bewältigen. Sie spricht nur griechisch, unsere aktiven Sprachkenntnisse sind nach wie vor jämmerlich, Google Translate darf es richten. Es klappt nach etwas hin und her dann alles gut, denn zu unserem Glück sind Marias Augen noch perfekt und sie kann die Sätze, die wir nicht einmal aussprechen können, vom Handybildschirm ablesen. Später am Abend sehen wir ihr in der Stube fasziniert beim Häkeln von feinsten Mustern im Dämmerlicht zu.

Familiär geht es zu in dieser Unterkunft, denn der Gastraum ist gleichzeitig Ess- und Wohnzimmer der Inhaberfamilie. Oma Maria sitzt und häkelt oder hört der Unterhaltung zu, der Opa ist der Koch, sogar ein ausgesprochen guter. Der Sohn schmeißt den Laden, verteilt Raki und Speisevorschläge. Am ersten Abend gibt es „local rabbit“ in Weinsauce geschmort. Delikat, wir vermuten, dass er auch selbst geschossen ist. Zum natürlich selbst gebrannten Raki werden zwei interessante Häppchen gereicht: Rohe Herzen von jungen Artischocken, mit Zitronensaft, und frische Ackerbohnen, die ungekocht noch aus ihrem letzten inneren Häutchen gepuhlt werden müssen.
Während wir genießen, bevölkern immer mehr Familienmitglieder und Freunde den Gastraum, trinken Raki in großzügigen Mengen aus Wassergläsern, quatschen oder skypen mit Familienmitgliedern auf Reisen, wobei sich alle fröhlich beteiligen.
Gut gefüllt mit Nachtmahl und Raki tätschelt uns Oma Maria noch die Wangen, dann geht´s ins Bett.
Alles so alt hier
Überraschenderweise kreuzen wir am nächsten Tag erneut den E4 - der macht hier nämlich einen Abstecher von seiner Hauptroute um den Wanderern einen der ältesten Olivenbäume Kretas zu zeigen.
Nach seinen Jahresringen bestimmt soll er 3250 Jahre alt sein, hat also in seiner Jugend noch die Minoer erlebt, dann die Gründung der antiken Stadt ein paar Meter weiter, deren Ruinen wir als nächstes erwandern. Der Baum hat die Mykener vorbeiziehen sehen, die antiken Griechen, die Perser, die Venezianer, die Osmanen, die modernen Griechen und neuerdings sieht er wohl immer mehr Touristen aus aller Welt. Dabei ist er noch sehr vital, da haben die alte Olive und die alte Maria etwas gemeinsam.



Wir wandern durch die Mesonas Schlucht, der Weg führt immer entlang der alten steinernen Wasserleitung aus den Bergen, die im Frühjahr schön sprudelt. Es ist ein schmaler steiler Pfad, der sich zum Ende der Schlucht immer weiter verjüngt, bis man hier endlich etwas Nervenkitzel hat mit Kletterei und einem alten Steg, bei dem sich die angerosteten Metallplatten aus ihrer Verankerung gelöst haben.
Wobei den Nervenkitzel am Ende doch nur ich fühle, Lutz und Lydia sind frei von Angst und kraxeln mir munter voraus, eine Familie von Bergziegen. Apropos Bergziegen – die kretischen Ziegen enttäuschen uns nicht, wie es sich gehört können wir Lydia auf dem Rückweg der Wanderung (nun in der Havgas -Schlucht) wenigstens eine abgestürzte Ziege präsentieren.


Sitia, östlicher wird es nicht
Am kommenden Tag schaukelt uns der Bus weiter nach Sitia. Hier endet die gut ausgebaute Straße und Busse fahren nur noch einmal in der Woche weiter in den äußersten Osten der Insel. Wir haben den östlichsten Punkt unserer Tour durch Kreta erreicht.
Am Ankunftstag stellen wir mit Freude fest, dass wir nicht nur eine sehr großzügige Ferienwohnung gefunden haben, sondern dass es auch noch eine Waschmaschine gibt. Kleine Freuden auf der großen Reise: es ist jedes Mal ein Fest „zu Hause“ waschen zu können, ohne erst einen Waschsalon ausfindig machen zu müssen, um dort entweder ein paar Stunden auszuharren oder Bring- und Abholzeiten zu befolgen. Gleichzeitig ist jede neue Waschmaschine auch immer ein Experiment. Die Beschriftung (auf Griechisch) will entziffert sein, nicht immer ist klar, ob die Maschine dann auch das tut, was man von ihr erwartet.

So hatten wir mit Lisa und Bernhard in Heraklion eine eifrige Toploader-Maschine, die unter enormer Lärmentwicklung in stundenlangen Programmen leider gar nichts tat. Oder fast nichts, denn das Wasser strömte ein, die Trommel drehte sich aber nie, so dass am Ende schmutzige, dafür aber triefnasse Wäsche quer durch die Stadt doch noch zur Wäscherei getragen werden musste.
In Sitia war jedoch alles bestens und so konnten wir am Folgetag zu unserer letzten großen Wanderung aufbrechen. Wir waren mittlerweile Meister des Bussystems, so dass wir uns zutrauten, An- und Abreise zur Wanderung öffentlich zu bestreiten. Da am Tag nur 3 Busse die Route bedienen, ging es früh los, wir hatten dann aber viel Zeit für eine gemütliche Wanderung, die uns durch die Richtis-Schlucht führte.






Das war mal etwas anderes als die Schluchten zuvor: kein Klettern am Rand der Schlucht, keine abgestürzten Ziegen, keine Felsenwüste, dafür ein regelrechter Dschungel und ein Weg, der uns quasi direkt durch das Flussbett führte. Am frühen Morgen schien das Ganze noch ein Geheimtipp, aber spätestens am vielbeworbenen Wasserfall etwa in der Mitte der Schlucht schlossen die Horden mit uns auf.
Offensichtlich hatte man vergleichbares Bildmaterial gesichtet und beschlossen, seinen Instagram-Account durch ein paar ansprechende „Baden mit Blick auf den Wasserfall“-Fotos zu ergänzen. Anders ließen sich meines Erachtens jedenfalls manche Outfits, die uns in der Schlucht entgegen stolperten, kaum erklären. Die teilweise recht langen Gesichter sprachen ebenfalls Bände, denn der Weg zum Wasserfall ist dann doch kein Spaziergang und die Wahrscheinlichkeit, dass Kleidung und Schuhwerk sauber und trocken bleiben verschwindend gering. Ich gab das ewige von-Stein-zu-Stein-hüpfen jedenfalls schnell auf und watete direkt durch den Fluss. Meine Turnschuhe mussten ohnehin mal wieder gewaschen werden.

Wieder am Ausgang der Schlucht angekommen war noch gut Zeit für einen Kaffee und ein Eis in der örtlichen Taverne, bis dann der Bus auf seiner West-Ost Route durch den winzigen Ort kam uns wieder zurückbrachte nach Sitia.

Abschied von Lydia
Abschiedsstimmung machte sich wieder breit. Lydia war nur für 9 Tage nach Kreta gereist, also traten wir, diesmal in einem Rutsch, die Rückfahrt nach Heraklion an, spazierten noch ein wenig durch die Weinberge rund um Knossos, wo es teilweise fast aussah wie am Kaiserstuhl, Lydia bekam ihr letztes Gyros und die letzten Rakis wurden gekippt. Zu nachtschlafender Zeit brachte Lutz seine Mutter dann zum Flughafen.
Letzter Spaziergang, letzter (Spiele)abend und Lydia muss schon wieder los
Aufbruch
Bei all der Aufbruchstimmung zog es uns auch weiter, nach fast vier Wochen mit Freunden und Familie auf Kreta. Erneut bestiegen wir eine Fähre, ja sogar den „Seajet“, eine Monohull-Speedfähre, die uns für teuer Geld (aber organisatorisch alternativlos) in zwei Stunden nach Santorin katapultierte. Genau das richtige Tempo für unseren bevorstehenden Kulturschock.
